Mein Pferd hat Angst

Die Angst-Reak­tio­nen des Pferdes

© Bibi Degn

Men­schen, die mit Pfer­den arbei­ten, fin­den sich einem Tier gegen­über, das gro­ße Kraft und viel Mas­se hat, und das dem Men­schen gro­ßen Scha­den zufü­gen könn­te. Dies löst bewusst oder unbe­wusst Angst aus, was viel­fach dazu führt, dass man glaubt, die Pfer­de unter­drü­cken zu müs­sen, sie zu einem ange­pass­ten Ver­hal­ten zwin­gen zu müs­sen – vor allem, wenn man ein begrenz­tes Reper­toire an Trai­nings-Werk­zeu­gen hat. Dabei wird über­se­hen, dass die Pfer­de eine unglaub­li­che Bereit­schaft zu Koope­ra­ti­on haben, wenn ihrer­seits kei­ne Angst im Wege steht, kein Schmerz oder kei­ne Überforderung.
Die Ver­mu­tung, Pfer­de zu etwas zwin­gen zu müs­sen, führt zwangs­läu­fig in die Situa­ti­on, dass den Pfer­den Angst gemacht wird, Gewalt und/oder Unge­mach ange­tan wird.

Angst und Reaktion

Die Wahr­neh­mung einer Situa­ti­on lan­det im Stamm­hirn, dem ältes­ten Teil des Gehirns. Wenn die­ses kei­nen Aus­lö­ser für Stress wahr­nimmt, geht die Infor­ma­ti­on wei­ter ins Groß­hirn zur Ver­ar­bei­tung und zum Abspei­chern. Hier fin­det unser bewuss­tes Den­ken statt. Wird dem Stamm­hirn ein Signal für Gefahr über­mit­telt, nimmt es die Abkür­zung, weil kei­ne Zeit ist, lan­ge zu über­le­gen, ob die­se Schlan­ge nun eine Bedro­hung dar­stellt oder nicht. Der Kör­per über­nimmt die wei­te­ren Reak­tio­nen. Das Stamm­hirn steu­ert blitz­ar­tig die Angst-Reaktionen.
Erwar­te bit­te von kei­nem Pferd, das von Angst über­schwemmt ist, dass es den­ken kann, oder dass das aus der Angst ent­stan­de­ne Ver­hal­ten (bewusst) gewählt hätte.

Flucht oder Kampf

Flucht oder Kampf sind die ers­ten Angst­re­ak­tio­nen, an die man denkt. Es gibt Indi­vi­du­en, die auf Gefahr eher mit Kampf, und ande­re, die auf Gefahr mit Flucht reagie­ren. Es ist aber auch eine Fra­ge der Situa­ti­on. Ist eine Wand hin­ter mir, der Flucht­weg ver­sperrt, wird sogar ein Pferd, das eher zur Flucht ten­diert, viel­leicht schnel­ler angrei­fen. Macht es die Erfah­rung, dass Angriff erfolg­reich ist, wird es ler­nen, eine höhe­re Ten­denz haben, die­ses Ver­hal­ten zu wäh­len und es auch bewusst einsetzen.
Wir müs­sen immer im Kopf haben, dass Pferd ein Ver­hal­ten wäh­len, weil es ihnen sinn­voll erscheint, um eine Situa­ti­on zu bewäl­ti­gen – nimm das Ver­hal­ten nicht per­sön­lich, es ist nicht gegen dich gerich­tet, son­dern zur Situa­ti­ons­be­wäl­ti­gung aus­ge­wählt. Des­we­gen müs­sen wir es trotz­dem nicht gut finden!

Erstar­ren, Tot­stel­len und Shutdown

Doch damit nicht genug. Es gibt auch noch drei ande­re Mecha­nis­men, die bei Gefahr/Angst zum Tra­gen kom­men. Das Erstar­ren, “starr vor Schreck wer­den” kommt in Ver­la­de-Situa­tio­nen oft vor. Die Pfer­de ste­hen starr auf der Ram­pe (und das Herz rast dabei). Die­se Situa­ti­on wird viel­fach als Stur­heit miss­in­ter­pre­tiert und führt zu fürch­ter­li­chen Unfäl­len. Denn aus einem Erstar­ren, wenn man nun Bewe­gung erzwingt und es nicht sorg­sam anstellt, kom­men die Tie­re immer noch mit der gro­ßen Angst und dann ent­we­der mit „fight“ oder mit „flight“ her­aus. Im Men­schen-All­tag ken­nen wir das Erstar­ren bei plötzlichen Schreck­si­tua­tio­nen. Ich per­sön­lich kann durch­aus erstar­ren, wenn ein Kind oder ein Tier in Gefahr kommt- nicht gut! Es ist aber eine Angst­re­ak­ti­on, die mir pas­siert. Ich habe sie auch oft bei Pferdehalter:innen beob­ach­ten können, wenn eine Situa­ti­on kri­tisch wird. Statt schnell zu han­deln ist das ein Moment des Erstarrens.
Wird ein Tier noch tie­fer in die­sen Zustand getrie­ben, kommt als nächste Stu­fe das “Abschal­ten”, das sich bis zum Umkip­pen oder gar zur Bewusst­lo­sig­keit stei­gern kann. Zwi­schen Erstar­ren und dem tota­len Shut­down ist bei Tie­ren der Tot­stell­re­flex ange­sie­delt. Die­ses Phänomen wird bei Pfer­den weni­ger deut­lich – man sieht es an Mäusen, mit denen die Kat­ze spielt.

Her­um­kas­pern

Eine wei­te­re Reak­ti­on, das “Herumblödeln”, fin­den wir oft bei Pfer­den – wie auch bei Kin­dern. Wenn sie unter Stress ste­hen, Angst haben oder unsi­cher sind, zei­gen sie ein gera­de zu para­do­xes Ver­hal­ten. Pfer­de fan­gen an mit irgend­et­was her­um­zu­spie­len, wie zwang­haft mit dem Maul aktiv zu sein. Letz­te­res ist beson­ders des­halb so inter­es­sant, weil vom Mund/Maul eine direk­te Ver­bin­dung zum Lim­bi­schen Sys­tem (des Gehirns) besteht. Das Lim­bi­sche Sys­tem steu­ert emo­tio­na­le Reak­tio­nen wie Wut, Furcht oder Zunei­gung und ist ganz wesent­lich am Ler­nen und Erin­nern betei­ligt. Es beein­flusst die emo­tio­na­le Färbung des Lernens.

Ler­nen und Angst

Die­ser Ver­bin­dung der Gefühle mit dem Ler­nen müssen wir uns bewusst sein. Ein Pferd kann nur gut ler­nen wenn es Gefühlslagen wie Spaß, Gebor­gen­heit, Erfolg mit der Lern­si­tua­ti­on ver­bin­det. Angst bewirkt eine unüberwindbare Blo­cka­de für das Ler­nen. Den­ke nur an dei­ne Schul­erfah­run­gen- wie leicht kann es einem jemand unmöglich machen ein Fach inter­es­sant zu fin­den, wenn man das Ler­nen mit Angst oder ande­ren nega­ti­ven Emo­tio­nen verknüpft.

Die fünf F

Im eng­li­schen Sprach­ge­brauch fasst man die Angst­re­ak­tio­nen zusam­men als die 5F: fight, flight, free­ze, foo­ling around (oder fidd­le) und faint.
Posi­ti­ve Erziehungsansätze
sind also ein Muss in der Pfer­de­er­zie­hung und das Schöne ist, dass inzwi­schen ein gewis­ses Ange­bot an posi­ti­ven Erziehungsansätzen gibt. Die Tel­ling­ton Metho­de ist eine in der Land­schaft die­ser Erziehungsansätze und sie öffnet wei­te­re Türen zum Ler­nen. Eine der Nischen für die Tel­ling­ton-Metho­de ist das Auflösen schon vor­han­de­ner Angst-Muster.

Angst mani­fes­tiert sich

Angst setzt sich im Körper fest. Die Angst wird in der Zel­l­erin­ne­rung gespei­chert. Genau da kann man sie auch wie­der frei set­zen: Durch Körperarbeit.
Angsterfüllte Momen­te sind schreck­lich. Egal ob die Angst berech­tigt war oder nicht – wenn wir etwas erle­ben und zugleich von Angst überschwemmt sind, behal­ten wir die­se Erleb­nis­se als schlimm in Erinnerung.
Wenn dein Pferd über den TTouch aus sei­ner Angst „her­aus­ge­holt“ wird, kann es eine Situa­ti­on rela­tiv angst­frei überstehen, die es vor­her nur überschwemmt von Angst ertra­gen hätte. So kann es tatsächlich erfah­ren, dass Situa­tio­nen okay sein können, die vor­her nie gewe­sen sind. Und das gilt für Kühe, Trak­to­ren, für Geräusche, für befremd­li­che Gegenstände und Abläufe, für frem­de Men­schen und für Berührungen, wie für das Gurten

Pferde Kopf hoch

Was tun bei Angst?

Wenn ein Pferd ver­mehrt Anzei­chen von Stress äußert, wenn ein Pferd eine der oben aufgeführten Angst-Reak­tio­nen zeigt, dann ist es an der Zeit etwas an der Zuge­hens­wei­se zu verändern. Ich muss die Situa­ti­on so verändern dass ich die angsteinflößenden Ein­zel­kom­po­nen­ten beein­flus­sen kann. Wenn das etwa Men­schen sind, muss ich sol­che fin­den, die Ver­trau­en stär­ken. Ich muss das Pferd in der Situa­ti­on soweit beru­hi­gen und ein­stim­men, dass es der Her­aus­for­de­rung in guter see­li­scher und körperlicher Balan­ce ent­ge­gen­tritt. Hier ist Tel­ling­ton TTouch ein wich­ti­ger Bau­stein. Und dann muss ich die Anfor­de­rung so verändern, dass sie eine erkenn­ba­re Anfor­de­rung sind einer­seits, dass die­se aber ande­rer­seits so bewältigt wer­den können, dass das Pferd nicht in Angst­re­ak­tio­nen gerät. Ich begin­ne posi­ti­ves Erle­ben zu „sam­meln“, Erfah­rung für Erfah­rung. Und von einer zur nächsten wird es einfacher.

Die Angst vor der Angst

Es ist nicht klar zu sagen, ob eine Angst­re­ak­ti­on zu wei­te­rer Angst führt, oder ob Angst eine Angst­re­ak­ti­on auslöst. In jedem Fall ist es so, dass das Erle­ben von Angst­re­ak­tio­nen ungünstig ist für das Überwinden von Unsi­cher­heit. Des­halb ist es ent­schei­dend, die Anfor­de­run­gen so zu gestal­ten, dass man eine deut­lich Angst­re­ak­ti­on (Flucht, kämpfen, erstar­ren, her­um­kas­pern) ver­mei­den kann. Das bedeu­tet in man­chen Fällen auch, kla­re Führung zu übernehmen ( eine geschick­te Orga­ni­sa­ti­on des Lern­fel­des). Das bedeu­tet auch, bei einer Überforderung direkt zu han­deln und die Kom­po­nen­ten ent­spre­chend zu verändern, dass Angst­re­ak­tio­nen nicht tie­fer in die Unsi­cher­heit trei­ben. Manch­mal genügt ein Hand­wech­sel, oder eine Ver­än­de­rung des Ortes, um die­se Wie­der­ho­lung der Angst­re­ak­ti­on zu ver­mei­den. Reagie­re schnell. Jede Wie­der­ho­lung einer uner­wünsch­ten Angst­re­ak­ti­on führt zu mehr Angst.

Der Begriff der “Erlern­ten Hilflosigkeit”

nach: Selig­man, Mar­tin E. P
Hat ein Orga­nis­mus ein trau­ma­ti­sches Erleb­nis, das nicht kon­trol­lie­ren konn­te, oder macht nicht ver­meid­ba­re, nicht kon­trol­lier­ba­re und wie­der­hol­te bedroh­li­che Erfah­run­gen, so ver­liert das Pferd sei­ne Moti­va­ti­on, wenn es spä­ter erneut mit schwie­ri­gen Bedin­gun­gen kon­fron­tiert wird. Von betrof­fe­nen Men­schen weiß man, dass sie zu der fes­ten Über­zeu­gung kom­men, unan­ge­neh­me oder schäd­li­che Situa­tio­nen nicht ver­mei­den zu kön­nen, sie füh­len sich hilf­los dem aus­ge­lie­fert, was ein ande­rer als Her­aus­for­de­rung neh­men wür­de. In der Men­schen­welt gilt die erlern­te Hilf­lo­sig­keit als Erklä­rungs­an­satz für die Ent­ste­hung von Depres­sio­nen. Über depres­si­ve Pfer­de hat man noch nicht viel nach­ge­dacht, aber das ist ver­mut­lich ein Pferd, das abge­stumpft wirkt, den Glanz in den Augen ver­lo­ren hat, und sich als dumm präsentiert.
Vie­le unse­rer Pfer­de machen übri­gens Erfah­run­gen von Tren­nungs­si­tua­tio­nen, die sie nicht beein­flus­sen kön­nen. Das ist manch­mal unver­meid­lich, aber durch­aus mit Auf­merk­sam­keit zu organisieren.

Pferd traurige Augen

Das Bei­spiel Sat­tel und Sattelgurt

Kennst du auch die Bil­der und die Glau­bens­sät­ze, dass sich ein Pferd, das zum ers­ten Mal gesat­telt wird, eben aus­bu­ckeln müs­se? Bit­te behal­te alles oben Gesag­te gut im Kopf, wenn es um das ers­te Sat­teln eines jun­gen Pfer­des geht. Denk auch an den Satz, den mei­ne Freun­din und Kol­le­gin Anja Gört­zen oft sagt: „Die ers­te Fest­plat­te ist dau­er­haft.“ Die ers­ten Erfah­run­gen, die ein Pferd macht, sind nicht leicht zu über­schrei­ben. Lass es in Ruhe gesche­hen! Und schau bei allen Schrit­ten, die du unter­nimmst, um dein Pferd an den Sat­tel zu gewöh­nen, auf Anzei­chen von Erstar­ren: Beob­ach­te die Atmung an den Flan­ken, wenn du hast, leg ein­fach ein Puls­mess­ge­rät an, beob­ach­te, ob dein Pferd in der Lage ist, sich geschmei­dig zu bewe­gen und leg dei­ne Hän­de an den Kör­per des Pfer­des – denn du kannst es füh­len, wenn der Kör­per in einen Zustand der Erstar­rung geht, das fühlt sich leb­los und höl­zern an. Jede ertra­ge­ne Angst treibt das Pferd noch tie­fer in sei­ne Angst!
Falls ein Schritt schief­geht – stop­pe SOFORT und gehe zwei Schrit­te zurück. Du musst dei­nem Pferd nicht bewei­sen, die Pfer­de wis­sen nichts von Gewin­nern und Ver­lie­rern und haben eine Angst­re­ak­ti­on nicht „gegen dich“ gewählt. Arbei­te am Ver­trau­en – und sei, wenn du magst, streng und sehr klar mit den Din­gen, die dein Pferd schon kann, da kannst du auch ein­mal for­dernd sein – aber nicht mit denen, vor denen es noch Angst zeigt. Aber blei­be dran, Schritt für Schritt, durch­dacht, klar und umsichtig.

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