Zeit haben — mit Tieren

Copy Right: Bibi Degn

Zeit, die­ses Phä­no­men, das angeb­lich nicht exis­tiert und uns den­noch so viel beschäftigt.

Hek­ti­sche Betrieb­sam­keit, Bemü­hen um Schnel­lig­keit in vie­len Belan­gen, immer mehr Ter­mi­ne in immer kür­ze­ren Abstän­den, Frei­zeit, die voll­zu­pa­cken ist mit Akti­vi­tä­ten, Zeit­ma­nage­ment, das uns hilft mehr Din­ge in weni­ger Zeit zu packen, und den­noch zu über­le­ben – wir alle ken­nen das. Zeit, nur eine Abs­trak­ti­on von etwas, was wir nicht ver­ste­hen, etwas nicht Wahr­nehm­ba­res, etwas nicht Greif­ba­res, etwas, so eine häu­fi­ge Kla­ge, das wir nicht „haben“. Zeit haben wir nur, wenn wir sie los­las­sen – aber wie könn­ten wir das in einer Welt, in der alles immer schnel­ler wer­den muss? Allei­ne die Aus­sa­ge „Zeit haben“ ist völ­lig absurd und den­noch eine täg­lich ver­wen­de­te Floskel. 

Es gibt (nur?) eine (vor­über­ge­hen­de und viel­leicht auch nach­hal­ti­ge, per­sön­li­che und viel­leicht auch kol­lek­ti­ve) Lösung für unse­re Not mit der Zeit. Das Erfah­ren von Kon­takt mit der Tie­fe unse­rer eige­nen Wesen­heit. Momen­te, in denen wir in wah­rem Kon­takt mit unse­rem Wesen sind, sind zugleich Momen­te der Frei­heit von der Not der Hast. Das Erken­nen, dass die­ser Teil mei­ner Selbst, der gefal­len will, der kei­ne Feh­ler machen will, der sich sorgt und der sich schul­dig fühlt, der nichts ver­säu­men will, der ger­ne hilft und der geliebt wer­den will, dass die­ser Teil mei­ner Selbst nur ein Aus­druck von mir ist, aber dar­un­ter noch etwas Ande­res liegt. Näm­lich eine gro­ße Sinn­haf­tig­keit mei­ner Exis­tenz, die will, dass ich in Per­fek­ti­on und Lie­be in mir ver­wirk­li­che, was für mich gemeint ist. 

Foto: Lara Meiburg

Blitz­lich­ter, Ahnun­gen, Erfah­run­gen, Momen­te davon ken­nen Vie­le — Momen­te, in denen wir aus unse­rer so wich­ti­gen all­täg­li­chen Wirk­lich­keit her­aus­ge­ho­ben in tie­fem Kon­takt mit etwas sind, das uns berührt. Etwas Ande­res, etwas Tie­fes, etwas, was der Kopf nicht ver­ste­hen kann und muss, etwas Fas­zi­nie­ren­des. Die­se Erfah­rung kann eine Erfah­rung des „Flow“ in einer hand­werk­li­chen oder künst­le­ri­schen Tätig­keit (oder des TTouch am Tier) sein, kann durch die Teil­nah­me an einem spi­ri­tu­el­len Kreis aus­ge­löst wer­den, kann durch eine Erfah­rung mit Dro­gen, Sexua­li­tät oder eine kör­per­li­che Grenzer­fah­rung wie im Sport bewirkt wer­den, oder auch durch eine per­sön­li­che freud- oder leid­vol­le Erfah­rung, die so über­wäl­ti­gend ist, dass sie unser Wol­len und Tun und Machen ausschaltet.

Das Füh­len

Sich die­ser Berüh­rung mit dem tie­fen Wesen in uns mehr zu öff­nen, bedeu­tet Sin­nes­er­fah­run­gen zu sam­meln und zu ver­fei­nern. Fein­füh­lig zu wer­den für die lei­se Stim­me in uns, die in uns hin­ein­füh­len lässt. Das Füh­len „des inne­ren Kör­pers“, der sich, wie Eck­art Tol­lei es aus­drückt, an der Schwel­le zwi­schen mei­ner Iden­ti­tät als Form und mei­ner Iden­ti­tät als Essenz, mei­ner wah­ren Natur befindet. 

Das Füh­len ist auch Wesen unse­rer Arbeit mit Tie­ren, auch in mich zu füh­len. Das Füh­len in mei­nen inne­ren Kör­per und das äußer­li­che Füh­len sind oft nicht mehr zu tren­nen. Wäh­rend ich mit mei­nen Hän­den oder mei­nem gan­zen Wesen in Kon­takt mit dem Tier gehe, erle­be ich Wege aus der Ver­fla­chung, die wir mit der ewi­gen Zeit­not in unse­rem All­tag erfah­ren. Wahr­zu­neh­men ohne zu wer­ten ist eine der so wich­ti­gen „Exer­zi­ti­en“ der Aus­üben­den der Tel­ling­ton Arbeit. Genau das ler­nen wir auch mit uns selbst zu tun. Nur eine Wahr­neh­mung ohne gleich­zei­ti­ge Wer­tung öff­net mir den Weg zu tie­fe­ren Dimen­sio­nen mei­nes Erfüh­lens und Seins. 

Viel­leicht ist das auch eine Erklä­rung, war­um es Vie­len schwer fällt, zu Hau­se die Tel­ling­ton-Metho­de anzu­wen­den, da sie etwas mit der Tie­fe des Seins zu tun hat und nicht in Hast und Eile des all­täg­li­chen Lebens zu bewäl­ti­gen ist. Aus einer Ebe­ne des Seins indie­se ande­re zu gehen bedeu­tet meist, Wider­stän­den zu begeg­nen. Und die­se erkennt man oft dar­an, dass sie zu uns sagen: „Dazu hast du jetzt kei­ne Zeit!“

Die Berüh­rung von Tie­fe ist aber viel­leicht auch der Grund, war­um Vie­le unse­rer Aus­zu­bil­den­den die Krei­se lie­ben, in denen 


wir gemein­sam die Zeit anhal­ten und in die Ver­bun­den­heit mit dem Leben ein­tau­chen. Es mag auch die Erklä­rung dafür sein, war­um ich in mei­ner Arbeit mit Tie­ren viel­fach die Zeit ver­ges­se — denn plötz­lich exis­tiert sie nicht mehr. Was ja stimmt.

i sie­he Eck­hart Tol­le: Die Kraft der Gegen­wart, S 124

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