For­dern und fördern

Wer nichts fragt bekommt -– und schenkt – auch nicht viel
Es sieht so aus, als wür­de sich das Pferd zu Tode lang­wei­len, das in der Box lebt. Ich weiß (wirk­lich??), dass es sein Los ver­bes­sern wür­de, wenn es lernt mit Men­schen über 100 Mei­len zu lau­fen, statt nur im tie­fen Stroh zu ste­hen und geliebt zu wer­den. Aber es ist mein Maß­stab – mei­ne von Erfah­run­gen gepräg­te Sicht­wei­se. Wahr­neh­mung ver­rät näm­lich mehr über den Wahr­neh­men­den als über den Wahr­ge­nom­me­nen. Ist es – neben mei­ner Sach­kennt­nis – doch immer wie­der mei­ne Lebens­er­fah­rung, mei­ne Lebens­ein­stel­lung, die ich auf das Tier projiziere?

Muss ich mein Pferd nicht ein­fach Pferd sein lassen? 

Mache ich alles rich­tig?

Sor­ge ich denn gut für mei­nen Hund? 

Ist es rich­tig, sich auf ein Pferd zu set­zen und Leis­tung zu erwar­ten? Ist es in Ord­nung, einen Hund in die Fami­lie zu neh­men und über sein Leben zu bestim­men? Zwei­fel füh­ren zu den „gewalt­frei­en” Metho­den (was ja gut ist) – aber trotz­dem: wenn ich mein Pferd nicht zwin­ge, darf ich dann Leis­tung erwar­ten? Wenn ich mei­nen Hund nur posi­tiv trai­nie­re, darf ich dann sein Leben nach mei­nen Wün­schen und denen der mensch­li­chen Gesell­schaft for­men? Auch gewalt­freie Metho­den kön­nen stres­sen (wenn Frus­tra­ti­on ent­steht) und höchst mani­pu­la­tiv sein, was wir unter Men­schen als min­des­tens frag­wür­dig bezeich­nen – also auch hier: mache ich alles richtig? 
Die ande­re Sei­te: Mit fai­ren Mit­teln zu hoher Leis­tung gebrach­te Tie­re sehen oft gesund, kraft­voll, fit und vol­ler Selbst­ver­trau­en aus. Sie schau­en zu ihrem Men­schen und schei­nen gro­ßes Ver­trau­en, eine tie­fe Bezie­hung zu haben. Ich habe Hun­de gese­hen, die sich ihrem Ein­satz in der tier­ge­stütz­ten The­ra­pie mit gro­ßem Ernst wid­men, sol­che, die stolz im Ret­tungs­dienst tätig sind, im Sport oder im Schu­lungs­we­sen, Tie­re, die mit einer Aus­stra­hung von gro­ßem Selbst­wert und Befrie­digt­heit über­zeu­gen, als wür­den sie mit Stolz ihren Platz im Leben ausfüllen.

Und wenn Arbeit und Ler­nen zu Glück füh­ren, dann stellt sich die Fra­ge, ob die in Afri­ka leben­den Bono­bos den para­die­si­schen Zustand ihres Daseins lie­ben, der sie zu nichts ande­rem ver­pflich­tet als Essen zu sam­meln, zu essen, zu schla­fen und Sex zu haben? Oder ob ihre kom­ple­xen sozia­len Her­aus­for­de­run­gen in der Grup­pe aus­rei­chend „Chall­enge” sind, um sich nach eines lan­gen Tages Abend müde – und befrie­digt – auf dem Baum zu fin­den? Wie ist es denn mit uns und unse­rem (über­zo­ge­nen) Bedürf­nis danach, uns selbst zu erfah­ren in der Arbeit — und damit unse­ren sozia­len Sta­tus zu stärken? 

Ein väter­li­ches Prin­zip und ein mütterliches

Wie so oft ist das wohl nicht schwarz und nicht weiß. In der Kin­der­er­zie­hung spricht man davon, dass eine Kom­bi­na­ti­on eines müt­ter­li­chen Bezugs­part­ners, der bedin­gungs­los liebt, und einem väter­li­chen Bezugs­part­ner, der for­dert und damit auch för­dert, ide­al wäre. Sol­che väter­li­che Figu­ren in unse­rem Leben kön­nen Vor­bil­der sein, unse­re Hel­den, ermu­ti­gen, unter­stüt­zen und begeis­tern, unse­re Lust am Aben­teu­er wecken, mit Kör­per­ein­satz wild spie­len, zu Mut und Risi­ko einladen. 

Ich habe einen Vater gehabt, der mich for­der­te. Oft dan­ke ich ihm dafür von Her­zen. Manch­mal bin ich ihm gram, wenn ich näm­lich die von ihm über­nom­me­ne Erwar­tungs­hal­tung an mich selbst wei­ter­tra­ge und mir gegen­über all­zu for­dernd bin. Den­noch – ich habe die Fähig­keit geschenkt bekom­men und das „Wis­sen” drum, dass ich es schaf­fen kann. Was-auch-immer „es” gra­de ist. Die wil­de Freu­de dar­an, mich schnell zu bewe­gen und mich dar­auf zu ver­las­sen, dass „er mich auf­fan­gen wird”. Den Mut, eine Her­aus­for­de­rung anzu­neh­men und mich in etwas zu stür­zen, ohne all­zu gro­ße Sor­ge, ob das zu bewäl­ti­gen ist. 

Haus­tie­ren gegen­über sind wir nicht Eltern, aber neh­men eine sehr prä­gen­de Rol­le ein, die Rol­le eines Gegen­übers, wel­ches ent­schei­den­den Ein­fluss auf das Leben des Tie­res hat. Auch unse­ren Tie­ren tut es gut, wenn eine gute Balan­ce zwi­schen dem For­dern und För­dern, sowie dem Ver­ständ­nis und dem Mit­ge­fühl da ist. 

Alles “rich­tig machen”

Ich ler­ne in mei­nen Kur­sen vie­le Mensch-Tier-Paa­re ken­nen, bei denen mir scheint, als wür­de der Mensch in das Tier hin­ein-inter­pre­tie­ren, was er sich selbst am meis­ten wünscht. Fehlt mir die bedin­gungs­lo­se Lie­be? Ist kör­per­li­che Unver­sehrt­heit das wich­tigs­te Gut? Ist mir sport­li­che Leis­tung wesent­lich? Bin ich bur­schi­kos und salopp mit mir selbst? Traue ich mei­nem Tier viel zu? Selb­stän­dig­keit? Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen? Wün­sche ich mir Schutz? Ver­mut­lich wer­de ich in mei­nem Tier för­dern, was mir ein Lebens­the­ma ist (wel­ches nicht immer für mich selbst zu erken­nen ist!) Es stellt sich ein­mal mehr die Fra­ge, wie fair ist das? 

Kann man es denn über­haupt „rich­tig” machen, wenn man Mensch ist? Kann ich denn unab­hän­gig von mir und mei­nen Lebens­the­men agie­ren? Ich kann hin­hö­ren und hin­schau­en und dar­auf lau­schen was mir mein Tier mit­teilt. Aber mehr kann ich nicht und wer­de mich damit abfin­den müs­sen, dass ich eine Spur hin­ter­las­se, wenn ich durch das Leben gehe. Auch in und mit mei­nen Tie­ren. Es wird so sein und so blei­ben, dass die Tie­re durch Ihr Sein mit uns für die­sen Lebens­weg eine Ent­schei­dung getrof­fen haben, eine Beein­flus­sung erfah­ren, und ein bestimm­tes Set an Erfah­run­gen machen. 

Zu reflek­tie­ren, wie wir mit For­de­run­gen an unse­re Tie­re umge­hen, ist nicht ver­kehrt. Zu for­dern kann bedeu­ten zu för­den. Kann auch bedeu­ten, zu überfordern. 

Die Arbeit mit­hil­fe der Tel­ling­ton TTouch Methode

Füh­re ich mei­ne Gedan­ken zurück zur Tel­ling­ton TTouch Metho­de, so fällt mir zunächst eines auf: Wenn es einen Weg gibt, das urei­ge­ne Sein eines Tie­res „aus­zu­bud­deln”, dann geht unse­re Metho­de ihn, und zwar so weit­ge­hend wie mög­lich. Des­halb war die Tel­ling­ton TTouch Metho­de für mich die Lie­be auf den ers­ten Blick.

Posi­tiv moti­vie­ren ist schön, mit Lob­wor­ten und Beloh­nun­gen aller Art groß­zü­gig sein, wun­der­bar. Und doch lie­ben wir alle es am meis­ten, wenn wir im Kern unse­res Wesens gese­hen und geför­dert wer­den und nicht durch Lock­an­ge­bo­te fremd­be­stimmt werden. 

Die Angst vor der Selbstwirksamkeit

An einem Tag bin ich nach­sich­tig und schen­ke mei­nen Tie­ren Vie­les, an einem ande­ren Tag bin ich viel­leicht into­le­ran­ter und stren­ger- die­ses Hin und Her gibt es immer. Das ist viel­leicht nicht hilf­reich, aber Teil mei­nes Mensch­seins. Dar­über hin­aus gibt es aber eine grund­sätz­li­che Hal­tung: näm­lich mei­ne per­sön­li­che Ant­wort auf die Fra­ge, ob ich mich traue, etwas zu wol­len. Ob ich es mir zutraue, mei­nen Platz im Leben ein­zu­neh­men und wirk­sam zu sein. In der Men­schen­welt mag das der Mut sein, in einer Grup­pe das Wort zu neh­men und einen Stand­punkt mit­zu­tei­len. In der Arbeit mit unse­ren Tie­ren ist das ähn­lich — auf der non-ver­ba­len Ebe­ne. Der Aus­tausch zwi­schen Tier und Mensch fin­det einer­seits durch unser Han­deln statt, ande­rer­seits, und das zu 75–80% durch unser „Sein”: Wer ich gra­de bin in dem Moment, in dem ich mit mei­nem Hund, mei­nem Pferd bin, bestimmt maß­geb­lich, wie das Tier an mei­ner Sei­te ist. Selbst wenn ich nicht wage, jemand zu sein, etwas zu wol­len, inner­lich auf­zu­tre­ten, selbst dann wir­ke ich sehr maß­geb­lich auf mei­ne Mit-Wesen ein. Das heißt, auch ein zurück­hal­ten­des „Nichts-falsch-machen-wol­len” wirkt. 

Ergrei­fe ich in einer Men­schen­welt nicht das Wort, so ver­mut­lich, um nichts „Fal­sches” zu sagen. Wage ich im Kon­takt mit mei­nem Tier nicht, etwas zu wol­len, so fürch­te ich, dass mein Anspruch unan­ge­mes­sen wäre. „Nichts-falsch-machen-wol­len” ist kei­ne Aus­sa­ge, es ver­un­si­chert unse­re Tie­re und das ist dann mei­ne Wirk­sam­keit: Ich ver­un­si­che­re das Tier. 

Die Kraft der Selbst- Wirk­sam­keit

Leo­nie Hochrein

Schau­en und hören wir ein­mal mehr Lin­da Tel­ling­ton-Jones bei der Arbeit an einem Tier zu. Die­ser außer­ge­wöhn­li­chen Frau, die auch die Kraft hat­te und die Selbst­wirk­sam­keit, eine sehr ande­re Metho­de des Umgangs zwi­schen Mensch und Tier über alle Kon­ti­nen­te zu ver­brei­ten. Zunächst pas­siert schein­bar gar­nichts. Dies mag ihr Moment sein, die See­le des Tie­res zu „sehen”, sei­ne urei­ge­ne Melo­die in sich auf­zu­neh­men. Lin­da nennt es auch Dank­bar­keit. Sie mag dann ihren inne­ren Blick auf die unend­li­chen Mög­lich­kei­ten der Ent­wick­lung und Hei­lung öff­nen. Und dann mag sie ein Bild in sich for­mu­liert haben, und die­ses auch aus­spre­chen, wie etwa: „Geh jetzt zwei Schrit­te vor­wärts und dann whoa!” Meist tun die Tie­re dann genau das. Wenn aber nicht, so ist dran, das neue posi­ti­ve Bild in sich ent­ste­hen zu las­sen. Das Bild des­sen, was wir für mög­lich und hilf­reich fin­den in dem Moment. 

Selbst­wirk­sam­keit erlau­ben bedeu­tet ein sehr kla­res posi­ti­ves Bild des­sen zu haben, was als nächs­tes gesche­hen wird. Wich­tig dabei ist das „posi­tiv”. Egal ob es beim TTouch um ein kör­per­li­ches The­ma gehen mag, oder in der Boden­ar­beit um das Erler­nen einer neu­en Tech­nik. Es bedeu­tet, zu wis­sen, dass ich eine Rich­tung sehe, dass ich etwas will. Das pas­siert, wenn ich mir Selbst­wirk­sam­keit erlau­be. Selbst­wirk­sam­keit erlau­ben bedeu­tet in der Boden­ar­beit in die Boden­ar­beits-Ele­men­te zu gehen, und nicht „erst mal außen rum lau­fen”. Lau­fe ich erst­mal außen rum, so lau­fe ich mit dem Pferd. Gehe ich in die Boden­ar­beits-Ele­men­te, so traue ich mir zu, Füh­rung zu haben. Klappt es nicht- so mache ich den nächs­ten posi­ti­ven Plan, das nächs­te posi­ti­ve Bild. 

Und nur wenn ich mei­nem Pferd, mei­nem Hund, mei­nem Tier, mei­nen Kun­din­nen und Kun­den etwas zutraue, dann hel­fe ich ihnen, zu wachsen. 

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